Ruth C. Cohn

Ruth C. Cohn (Foto: ISW)

Ruth C. Cohn ist am 27. August 1912 in Berlin als 1. Kind einer wohlhabenden jüdischen Familie geboren. 3 Jahre später kommt ein Bruder zur Welt. Der Vater betont: Wir sind zuerst deutsch und in zweiter Hinsicht Juden. Die jüdische Feste werden in der Familie gefeiert, die geistige Haltung ist eher liberal. Zum Abitur wünscht sich Ruth einen Studienurlaub mit der Familie in Spanien. Aus diesem Urlaub bewahrt sie ein Marienbild von Esteban Murillo auf: Die Aufnahme Mariens in den Himmel.

Sie studiert Philosophie bei Harnack, daneben Psychologie und Literatur. 1933 emigriert die Familie in die Schweiz. Sie beginnt in Zürich die psychoanalytische Ausbildung am Intern. Institut für Psychoanalyse – nicht ohne Konflikte mit ihrem Psychoanalytiker, sie bricht die Psychoanalyse ab.

1941 emigriert sie in die USA und kann mit viel Überredungskunst auch ihre Eltern nachholen. Sie heiratet aus Rücksicht, erzieht allein ihre Tochter und ihren Sohn. Sie heiratet nicht mehr. Sie arbeitet zunächst als freie Psychoanalytikerin und unterrichtet Studierende der Psychoanalyse. Intensiv engagiert sie sich im kollegialen Freundeskreis für die Reflexion der neu aufkommenden Formen der Gruppendynamik, der Körpertherapien sowie Erlebnistherapien und trägt wesentlich zur Sinnorientierung der Humanistischen Psychologie bei.

Um 1950 formuliert sie die Grundgedanken zur Themenzentrierten Interaktion, zunächst „Interaktionelle, themenzentrierte Methode“ (TIM) genannt. Um 1960 organisiert sie eine Dachorganisation als großes Haus für die vielen Wege Lebendigen Lernens der Humanistischen Psychologie und Psychotherapie: Das Workshop Institute für Living Learning, WILL. Sehr bald aber wurde hier nur die TZI gelehrt einschließlich der Integration TZI naher Methoden, um die Prozesse sachlichen und persönlichen Lernens speziell unterstützen zu können. Denn die TZI ist zunächst ein unspezifischer Ansatz und deshalb anschlussfähig für andere Methoden der Werte- und Sinnorientierung.

Ab 1968 wird R. C. Cohn nach Europa zu internationalen Ärzte-Kongressen zu Fragen der TZI im Anwendungsfeld Psychotherapie eingeladen. Bald finden sich Interessierte aus Wirtschaft und Bildung mit den Psychotherapeuten in gemeinsamen Workshops für die Weiterbildung in der TZI zusammen.

1971 wird Ruth C. Cohn zur Psychologist of the Year Award, Psychologin des Jahres ernannt.

1973 übersiedelt sie nach Europa, zunächst nach D-Vlotho und 1974 in die Schweiz nach Hasliberg an die Ecole d´Humanité. Die Schweiz spricht ihr für den Daueraufenthalt den Status einer besonders wichtigen Person zu.

1979 wird ihr die Ehrendoktorwürde durch die Universität Hamburg und 1992 durch die Universität Bern verliehen.

Ruth C. Cohn lebt seit 1990 in Düsseldorf ein stilles Leben. Sie ist nachdenklich und gesprächsbereit bis in ihr hohes Alter. Die körperliche Gebrechlichkeit realisiert sie in hohem Maß voller Achtsamkeit.

Sie stirbt am 30. Januar 2010 in Düsseldorf.

Eindrucksvolle Äußerungen von Ruth C. Cohn:

Durch die Nazizeit jung aufgeschreckt zum sozialpolitischen Nachdenken, trieb mich der Wunsch, nicht nur mit einzelnen und Kleingruppen zu arbeiten, sondern Modifikationen psychotherapeutischer Prozesse für Schulwesen und Kommunikationswesen nutzbar zu machen….

Ich habe mich überzeugt, dass die Schulsysteme in Amerika und in Deutschland, die fast universelle Sehnsucht nach Erziehung zur Demokratie und sozialer Gerechtigkeit nicht fördern. Beide arbeiten mit dem Rivalitätsprinzip, das ich für eine destruktive Grundlage halte.

Ich weiß, dass auch die Ausbeuter – weniger sichtbar als andere – unter dem Rivalitätsprinzip leiden, und manche viel von ihrer Macht aufgeben würden, wenn sie wüssten wie…Ich glaube, dass die Krankheit des statischen oder übergewichtigen Egoismus dann entsteht, wenn Existenzangst unerträglich ist….eine Selbstverständlichkeit, wenn man als Gefangener vorm Kannibalenfeuer sitzt.

Als ich merkte, dass die Selbstverwirklichungsidee zu einem autistischen, blinden Scheuklappen-Egoismus verkehrt zu werden droht, habe ich überlegt: Da fehlt etwas, da fehlt ein Wertsystem. Ich glaube, dass es unbedingt nötig ist, die experimentellen therapeutischen und pädagogischen Verfahren auf eine ethische Axiomatik zu gründen.

Dabei geht es, ganz einfach und pauschal ausgedrückt, um das Humanum. Keine Regel und kein Postulat sind sinnvoll, wenn nicht dahinter ein Absolutum eingesetzt wird. Ja, ich meine wirklich: „eingesetzt“. Denn einen „Wert an sich“ gibt es nicht, das ist Glaubenssache. Wenn jemand dieses als absolut gesetzte – zum Beispiel die Axiome im TZI-System – nicht akzeptiert, kann er mit diesem System nicht leben oder arbeiten, sondern höchstens einzelne ihrer Techniken willkürlich – for better or for worse – benutzen. Das kann auch destruktiv sein. Die TZI-Axiome sind: Respekt für alles Leben, vor allem auch für das menschliche, und die Annahme, dass eine gewisse Autonomie besteht innerhalb aller Beteiligten. Denn wenn ich nicht von Freiheit spreche, kann ich auch nicht ernsthaft von Werten sprechen, an denen einzelne ihre Entscheidungen ausrichten können. Ich kann keine Werte haben ohne Freiheit. Im Grunde ist diese Axiomatik christlich und jüdisch – das „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“. Das einzig …. war wohl, dass ich sie explizit als Grundlage in eine therapeutische und pädagogische Systematik integriert habe.